
Wir gehen am 16.08.2025 auf Darmstadts Straßen, laut und sichtbar, unter einem Motto, das zugleich ein Versprechen und eine Forderung ist: “Nie wieder still – ich l(i)eb’, wie ich will!” Es ist ein Ruf nach Freiheit, nach Selbstbestimmung und nach dem unumstößlichen Recht, zu lieben und zu sein, wer wir sind.
Wir blicken stolz zurück auf das, was wir als queere Community gemeinsam erreicht haben: Meilensteine wie die Aufhebung des §175, die Schaffung des Antidiskriminierungsgesetzes, die Öffnung der Ehe für alle und jüngst auch die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes. Diese Errungenschaften sind das Ergebnis von unseres Mutes, unserer Ausdauer und dem unermüdlichen Einsatz vieler Menschen. Vieler lesbischer, schwuler, bisexueller, trans, inter* und weiterer Menschen. Vielen Menschen vor uns und mit uns. Diese Errungenschaften sind das Fundament, auf dem wir stehen.
Doch dieser Stolz mischt sich mit Besorgnis. Wir sehen, wie hart erkämpfte Rechte in Frage gestellt werden und wie reaktionäre Kräfte versuchen, die Uhren zurückzudrehen. In eine Zeit vor dem Selbstbestimmungsgesetz, vor der Ehe für Alle, vor dem Antidiskriminierungsgesetz und im Falle der rechtsextremen Partei AfD auch vor der Aufhebung des § 175. Wir sagen klar und deutlich: Wir gehen nicht zurück! Unsere Errungenschaften müssen geschützt und verteidigt werden! Dafür brauchen wir starke Allianzen, Menschen, die an unserer Seite stehen und mit uns für eine offene Gesellschaft kämpfen. Aber vor allem sind wir auf eine starke, geeinte Community angewiesen. Wir müssen zusammenhalten, füreinander einstehen und dürfen keine Facetten unserer vielfältigen Gemeinschaft zurücklassen.
Gerade deshalb ist es unerlässlich, die Wurzeln und die Vielschichtigkeit unserer Bewegung zu verstehen und zu ehren. Die moderne queere Befreiungsbewegung ist untrennbar mit dem Mut, dem Widerstand und den Kämpfen von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPOC) verbunden. Es waren oft marginalisierte Personen, insbesondere trans Frauen of Color, die bei Aufständen wie Stonewall an vorderster Front standen und den Weg für die Rechte ebneten, die wir heute haben. Ihre Erfahrungen mit multiplen, sich überschneidenden Formen der Diskriminierung – Rassismus, Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Sexismus – haben die Notwendigkeit eines intersektionalen Ansatzes schmerzlich verdeutlicht. Unsere Intersektionalität – das Anerkennen, Verstehen und aktive Einbeziehen dieser verwobenen Identitäten und der damit einhergehenden spezifischen Herausforderungen – ist daher nicht nur ein historisches Faktum, sondern unsere gelebte Realität und unsere größte Stärke. Sie macht unseren Kampf wirksamer, unsere Solidarität tiefer und unsere Gemeinschaft widerstandsfähiger. Nur wenn wir alle Stimmen hören und alle Kämpfe anerkennen, können wir wirklich für alle queeren Menschen sprechen und handeln.
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir heute einen Christopher Street Day veranstalten und unsere Stimmen erheben können. Die Vergangenheit hat uns oft genug gezeigt, dass Sichtbarkeit unterdrückt und Proteste verhindert wurden. Doch auch die jüngere Vergangenheit und die Gegenwart mahnen uns zur Wachsamkeit: Behörden, die CSDs wie in Schönebeck abbrechen, Unternehmen, die sich aus ihrem Engagement feige zurückziehen, und aufgrund von Gewaltankündigungen abgesagte CSDs wie in Gelsenkirchen – all das zeigt, wie fragil unsere Freiheiten noch immer sind.
Deshalb verlangen wir von der Politik ein konsequentes und aktives Vorgehen gegen Hass und Hetze! Queerfeindliche Gewalt und verbale Angriffe müssen entschieden und nachhaltig bekämpft werden – auf der Straße, im Netz und in den Parlamenten!
Unsere Werte – Akzeptanz, Vielfalt, Respekt und Selbstbestimmung – müssen von uns allen verteidigt werden. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für Unternehmen. Wir haben genug von Lippenbekenntnissen und Regenbogenflaggen im Pride Month, wenn dahinter keine wirksamen Taten folgen. Diversitätsprogramme dürfen weder auf Druck von außen, noch von autoritären Kräften im Inland gestoppt oder verwässert werden. Wahre Solidarität zeigt sich im Handeln, nicht nur im Reden!
Sichere Räume für queere Menschen sind überlebenswichtig. Schutz- und Beratungsangebote, oft ehrenamtlich getragen, sind essentiell und dürfen nicht länger finanziellen Unsicherheiten oder politischen Spielchen ausgesetzt sein.
Konkret für unsere Stadt und unsere Region bedeutet das:
- Für Darmstadt: Wir brauchen eine nachhaltige und gesicherte Finanzierung unseres Queeren Zentrums Darmstadt, einem unverzichtbaren Anker für viele.
- Für Hessen: Wir fordern eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung unserer LSBT*IQ-Netzwerkstellen, die landesweit wichtige Arbeit leisten.
- Für Hessen heißt das ebenfalls: Wir brauchen eine nachhaltige Finanzierung der AIDS-Hilfen und insbesondere der Rainbow-Refugees-Programme. Die drohenden Kürzungen Anfang dieses Jahres konnten wir gemeinsam – vorerst – verhindern. Das zeigt: Unser Protest wirkt, aber wir müssen wachsam bleiben!
Unsere zentralen Forderungen, im Einklang mit der bundesweiten Kampagne “Nie wieder still!”, fassen wir klar zusammen:
- Grundgesetzlicher Schutz queerer Menschen: Die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität müssen explizit in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes verankert werden.
- Sichere Räume für queere Menschen: Schutz- und Beratungsangebote sind essenziell und dürfen nicht weiter finanziellen Unsicherheiten ausgesetzt sein. Ihre Finanzierung muss zukunftsfähig gestaltet werden.
- Konsequentes Vorgehen gegen Hass und Hetze: Queerfeindliche Gewalt und Hetze müssen entschieden und nachhaltig bekämpft werden. Wir erwarten eine wirksame Strategie und deren konsequente Umsetzung.
Das stärkste Werkzeug, um diese Ziele zu erreichen und unsere Rechte dauerhaft zu sichern, ist der grundgesetzliche Schutz. Die Ergänzung von Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes um die Merkmale der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität ist überfällig und dringend notwendig!
“Ich lieb’, wen ich will!” – das ist unser Recht, unsere Freiheit. Wir lieben dabei auch unsere eigene Identität – das ist unsere Stärke, unser Stolz. Das muss geschützt werden. Das fordern wir. Dafür gehen wir auf die Straße. Dafür sind wir nie wieder still!