Während der ersten Rede unserer CSD-Kundgebung sprach Sonja Götz. Die Rede betonte die Bedeutung von Vielfalt und Offenheit in der queeren Community. Sie forderte den gleichen Schutz, Respekt und Achtung für alle und kritisierte die gesellschaftlichen Grenzen, die Vielfalt oft einschränken. Sonja rief auch zu Solidarität und Selbstreflexion innerhalb der Community auf. Die volle Rede gibt es nun auf csd-darmstadt.de zu lesen. (Foto: Falk Fleischer)
Als erstes möchte ich mich bei all den Menschen bedanken, die den CSD heute überhaupt erst möglich gemacht haben. Also vielen Dank an die Orga, die vielen Helfer*innen und alle, die auf ihre Weise etwas beitragen. Damit auch vielen Dank an euch!
Wenn ich mich hier umschaue, sehe ich lauter schöne, bunte, fröhliche Menschen um mich herum. Wie gerne würde ich jetzt einfach sagen “Vielfalt ist schön, habt Spaß und eine gute Zeit, los gehts!”
Aber wir sind nicht bei der Love Parade. Wir gehen heute auf die Straße um zu demonstrieren, damit wir endlich den gleichen Schutz, den gleichen Respekt und die gleiche Achtung erfahren wie der Rest der Gesellschaft!
Das Motto für diesen CSD ist “Vielfalt verpflichtet”, und ich glaube, aus dem Bauch heraus würden die meisten Menschen sagen, Vielfalt ist etwas Gutes. Weil sie mit Wahlmöglichkeiten verbunden wird.
Wenn wir Essen gehen, finden wir es ja auch gut, wenn mehr als “Wasser und Brot” auf der Karte steht.
Doch schon bei einem banalen Beispiel wie Essen merken wir, wie schnell wir an die Grenze dessen kommen, was bei Vielfalt noch geduldet wird.
Man denke nur an die Streitigkeiten zum Thema Fleischessen.
Wenn also solch vergleichsweise harmlose Fragen schon derart heftige Reaktionen auslösen können, was passiert dann erst, wenn es um Vielfalt in der Liebe geht?
Homosexuelle Liebe? Polyamore Beziehungen?
Au weia….
“Schwul!” wird auch heute noch viel zu oft als Schimpfwort gebraucht, mit der Akzeptanz für vielfältige Beziehungsformen sieht es also immer noch schlecht aus.
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, kommen dann noch wir Transmenschen und stellen ganz nebenbei auch noch das alte, liebgewonnenen Bild der binären Geschlechtsidentitäten in Frage.
Ob jetzt trans, genderfluid, nicht-binär, allein unsere Existenz zeigt, das Denken in zwei starren Geschlechtern, es funktioniert so nicht mehr.
Da wird bei einigen ganz schön viel durcheinander gewirbelt, Vielfalt kann eben auch anstrengend sein. Sie macht es nötig, dass wir uns immer wieder neu orientieren, uns mit neuen Konzepten, Wertvorstellungen und Lebenswelten auseinandersetzen.
Vielfalt verpflichtet also zu Offenheit.
Wobei uns das doch leicht schwer fallen sollte.
Wir Menschen, mit all unseren Fähigkeiten, Wünschen, Träumen und Vorstellungen sind doch von Natur aus vielfältig, dafür muss man auch gar nicht queer sein.
Zugegeben, gerade in unserer schnelllebigen Zeit kann es echt herausfordernd sein, mit den vielen neuen Entwicklungen Schritt zu halten.
Bei meinem Coming out wusste ich von lesbisch, schwul, bi und trans.
Inzwischen habe ich gelernt, das sind alles nur Oberbegriffe, unter denen sich viele bunte Lebensweisen vereinen.
Bei Schwulen gibt es zum Beispiel die Twinks und die Bären, bei Trans gibt es unter anderem eben auch nicht-binär und genderfluid.
Klingt vielleicht erstmal verwirrend, macht aber nix.
Wichtig ist vor allem, offen zu bleiben für das, was außerhalb unserer eigenen Bubbles passiert.
Vielfalt verpflichtet also auch zur Selbstreflektion
Denn auch queer zu sein bedeutet (leider) nicht automatisch eine offene Haltung der Vielfalt anderer gegenüber.
Das bekommen gerade wir Transmenschen immer wieder zu spüren.
Ich zum Beispiel bin eine bisexuelle Transfrau. Ich bin also Frau, Trans, und im Grunde auch lesbisch, weil ich ja auch auf Frauen stehe.
Doch kann ich mich auch bei den Cisfrauen und Cislesben willkommen fühlen?
Leider nicht immer.
Weil es eben auch in unserer so bunten und vielfältigen Gemeinschaft immer noch viele Gräben und Grenzen gibt, viele davon für uns Transmenschen.
Weil es immer wieder passiert, dass wir als “nicht echt” betrachtet werden, nicht als richtige Frau oder als richtiger Mann. Ein Verhalten, welches traurige Tradition hat. Nur knapp 4 Jahre nach den Stonewall Riots, untersagte die Gay Activist Alliance Transpersonen die Mitgliedschaft. Man erhoffte sich dadurch bessere Chancen für ein Antidiskriminierungsgesetz.
Natürlich gibt es, und das zu betonen ist mir sehr wichtig, auch unheimlich viele offene und tolerante cisfrauen und cismänner in der Community. Ich zum Beispiel habe bisher fast nur positive Begegnungen gehabt. Aber es geht eben nicht um mich, das Problem ist allgemein zu groß, als dass wir es bei einer Veranstaltung wie dem CSD einfach unter den Tisch fallen lassen wollten.
Zum einen, weil es extrem verletzend ist.
Von religiösen Spinnern, Queerdenkern, rechten Parteien und/oder Nazis angefeindet zu werden ist übel. Aber von denen erwarten wir auch nichts anderes.
Aber von Menschen, die genau wissen, wie scheiße es sich anfühlt, aufgrund der eigenen Identität und Sexualität ausgegrenzt zu werden?
Man mag mich jetzt naiv nennen, aber da erwarte ich etwas anderes. Gerade weil die Schwulen- und Lesbenszene selbst doch auch so vielfältig ist, sollte man da nicht auch offen sein für zum Beispiel Transmänner und -frauen?
Vor allem, es gibt ja noch einen weiteren, großen Grund, warum diese innere Spaltung so gefährlich ist.
In der Mehrheitsgesellschaft wächst die Feindseligkeit gegen uns massiv an.
Die AfD erreicht mitlerweile teilweise 20%, in den USA führen die Republikaner einen erbarmungslosen Feldzug gegen alles was queer und vor allem, was trans ist.
Und wir wissen, solche Entwicklungen schwappen gerne irgendwann zu uns rüber.
Können wir es uns angesichts dieser Situation erlauben, kleingeistige Grabenkämpfe zu führen?
Ich sage ganz entschieden, Nein!
Wenn wir diesem Haß von außen ernsthaft etwas entgegensetzen wollen, müssen wir erst einmal im Inneren zusammenstehen. Spalten wir uns auf, gehen wir unter.
Vielfalt verpflichtet also auch zur Solidarität
Ich meine, wie können wir auf die Straße gehen und von der Mehrheitsgesellschaft fordern, dass sie uns akzeptiert, wenn wir uns untereinander nicht akzeptieren?
Wenn unser Ziel wirklich ein friedliches Miteinander ALLER Menschen ist, müssen wir lernen, mit dieser Vielfalt umzugehen. Und ja, das ist eine Herausforderung.
Eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen, denn wir alle sind Teil der Gesellschaft, die wir ändern wollen. Wenn wir uns der Vielfalt verpflichten, werden wir daran wachsen, das wird unsere Gemeinschaft stärken und damit unsere Wirkung auf den Rest der Gesellschafft.
Und wir können uns stellen.
Ich meine, offen und solidarisch zu sein heißt ja nicht, alles auch übernehmen zu müssen.
Man muss nicht schwul oder lesbisch sein, um Schwule und Lesben zu unterstützen, genauso wie man nicht trans sein muss, um sich mit Transpersonen zu solidarisieren.
Und, Spoileralert, man wird auch nicht schwul, lesbisch und oder trans dabei.
Ja, Vielfalt verpflichtet auch zu Kompromissen.
Und wer sich jetzt immer noch fragt, warum soll ich mir das alles antun?
Ganz einfach: Weil Vielfalt schön ist. Weil sie das Leben reicher, bunter, lebenswerter machen kann.
Weil die Alternative wäre, dass wir uns wieder verstecken müssen. Dass wir uns wieder verleugnen müssen. Und das haben wir alle viel zu lange getan.
So sehr wir uns auch in einigen Punkten unterscheiden mögen, in den wichtigen Punkten sind wir doch gleich:
Wir sind alle Menschen, die einfach nur frei und in Würde leben und lieben wollen.
Ich finde, diese Ziele sind es wert, sich der Vielfalt zu verpflichten, oder?
Ich danke euch und wünsche euch einen wundervollen CSD!